WDR 5 - »Hallo Ü-Wagen« am 31. Mai 2003 zum Thema:
Ist da die Psyche im Spiel? – Krebskrankheiten
Durch die Interviews führte Julitta Münch,
Moderatorin der Sendung »Hallo Ü-Wagen«, jeden
Samstag zu hören auf WDR 5, jeden ersten Samstag im Monat
zu sehen im WDR-Fernsehen, jeweils von 11:05 bis 13:00 Uhr. |
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Julitta Münch für Hallo Ü-Wagen: Wulf Schröder
sitzt neben mir. Er hat sich auf einen Aufruf gemeldet auf unsere
Sendung, die ja heute das Thema hat: Ist da die Psyche mit im Spiel? – Krebskrankheiten. Herr Schröder,
warum haben Sie sich gemeldet?
Wulf Schröder: Zunächst möchte ich ganz kurz
ausholen: Ich selbst bin Krebspatient – das ist schon einige Jahre
her, jetzt etwa 5 1/2 Jahre ... Ja, ich kann mich erinnern, dass
ich seinerzeit in der Pause nach der ersten oder zweiten Chemotherapie,
glaube ich, eines Nachts aufgewacht bin, und mir stand ganz glasklar der Gedanke vor Augen: Ich habe mir
diese Krankheit ausgesucht,
weil ... Und diesen Satz habe ich später in Gesprächen
mit anderen Krebspatienten – man lernt ja sehr viele kennen – in
fast der gleichen Form wiedergehört. D. h., dass da doch ursächliche
Zusammenhänge erkannt oder angenommen werden zwischen einer
persönlichen Lebenssituation und dem Entstehen der Krankheit.
Wir hatten vorhin von Frau Neumann gehört, dass sie auch meint,
naja, wenn sie mal nicht so gut drauf ist, dann ist es schon eher
möglich, dass sie mal von einer Grippe angefallen wird oder
Ähnlichem. Ich denke, es ist auch unbestritten, dass auch die
Entwicklung einer Krebserkrankung abhängig ist von der Stabilität
des Immunsystems. Und insofern denke ich, ist da auch ein Zusammenhang
herstellbar.
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Wulf Schröder im Gespräch mit Julitta Münch ... |
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HÜW: Und das dann wiederum, sagen Sie, das Immunsystem
oder die Stabilität des Immunsystems, die hängt damit
zusammen, wie ich mich fühle, also ob es mir gut geht, ob ich
gut drauf bin?
Wulf Schröder: Ich wollte das eher umgekehrt verstanden
wissen – natürlich, wenn mich irgendein Virus anfällt,
dann werde ich mich nicht gut fühlen. Auf der anderen Seite
ist es so, dass ich natürlich, wenn ich mich in einer unglücklichen
Situation befinde, eher geneigt bin, sei es einer Viruserkrankung
o. Ä. zum Opfer zu fallen. Nehmen Sie einen Menschen, der verliebt
ist, was hat der für eine Ausstrahlung, wie geht der durchs
Leben? – wie eine Festung. Nehmen Sie einen, der morgens von seinem
Partner und mittags von seinem Chef zusammen-geschissen wird – da
sehen Sie schon an der ganzen Körperhaltung, was für eine
Kraft der den Anfeindungen noch entgegensetzen kann – nämlich
kaum eine. Insofern denke ich schon ... ich will nicht sagen, dass
es zwingend so ist. Ich habe auch Krebspatienten kennen gelernt,
die sich in ausgesprochen glücklichen Lebensumständen
befanden, in stabilen Partnerschaften, in Berufen, Tätigkeiten,
Hobbys, die ihnen Freude gemacht haben, und trotzdem dieser
Krankheit zum Opfer fielen. Wie gesagt, ich vertrete da keine absolutistische
Meinung, ich denke aber, dass es durchaus diese Zusammenhänge
gibt. Nicht zwingend, aber auch.
HÜW: Wie sind Sie darauf gekommen, dass Sie gedacht
haben, diese Krankheit genau habe ich mir ausgesucht?
Wulf Schröder: Ich selbst war seinerzeit in einer Situation,
die bei näherem Nachdenken mir relativ ausweglos erschien ...
Ich möchte nicht im Einzelnen darauf eingehen, das tut hier
eigentlich auch nichts zu Sache. Ja, ich fühlte mich in eine
Ecke gedrängt, und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte,
ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umzugehen hatte. Und
eine Krankheit kann auch immer ein Fluchtweg sein. Und da sehe ich
doch ursächliche Zusammenhänge.
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... mit Experten ... |
HÜW: Heißt das, sich dann rauszuziehen aus einer
Situation, z. B. als Flucht? Oder wie meinen Sie das?
Wulf Schröder: Ja, genau. Ganz genauso meine ich das.
Ja.
HÜW: Dann war das hilfreich, das zu denken, für
Sie? Also dieses Gefühl zu haben, das habe ich mir jetzt ausgesucht,
weil ... x, y, z?
Wulf Schröder: Nein, gar nicht mal. Es war in der Konsequenz
sicherlich hilfreich, weil es mich gezwungen hat, nachzudenken und
Dinge meines Lebens
in Frage zu stellen. Das natürlich. Wenn
Sie jetzt auf die Frage zusteuern: Warum gerade ich?, wie es hier
schon mehrfach angesprochen wurde – dazu möchte ich eines sagen:
Ich glaube, das wird überbewertet. Dieser Gedanke: Warum gerade
ich? ist ja eigentlich ein sehr negativer Gedanke, weil er eigentlich
keinen weiteren Inhalt hat, keinen Sinn, als sich irgendwie dem
Selbstmitleid hinzugeben. Das ist sicherlich nötig in bestimmten
Situationen. Das ist aber kaum hilfreich als Motto, als Weg, so
eine Erkrankung zu verarbeiten. Denn sich da in die Ecke zu setzen,
sich selbst zu bedauern und zu sagen: Warum gerade ich? – Warum hat
es mich getroffen? – das zeigt ja letztendlich auch, dass ich nicht
gesprächsbereit bin, dass ich eigentlich auch gar nicht tiefer
suchen möchte. Was ich damit sagen will: Wer so spricht:
Warum gerade ich? – der sucht nicht wirklich nach Gründen.
HÜW: Haben Sie so empfunden? Ist das nicht so eine
Phase, die Sie auch mal hatten? War das gar nicht da?
Wulf Schröder: Das war nicht da. Ich habe es
eigentlich auch nicht bei anderen Krebspatienten vorgefunden.
Ich meine manchmal, dass wird eher angenommen, dass man so denkt,
ich bin das auch häufig gefragt worden. Ich hab´ gesagt: Nein, genauso denke ich nicht, für
mich ist das der negativste
Gedanke der Welt, und wenn ich frage: Warum gerade ich?, dann muss
ich in anderen Fällen auch fragen: Warum nicht ich? – Warum hat
es andere getroffen? – wenn irgendwas passiert, ob das eine Erkrankung
ist, ein Verkehrsunfall, Unglück in anderen Familien ... Nein,
das muss ich sagen, den Gedanken habe ich gar nicht mal verdrängt,
ich hatte ihn nicht.
HÜW: Dann ist dieser Gedanke: Ich habe mir das ausgesucht,
gerade in dieser speziellen Situation, diese spezielle Krankheit,
dann ist das etwas, was Sie eher nach vorne hat blicken lassen?
Wulf Schröder: Ja, natürlich. Ganz genau. Das,
was mich hat erkennen lassen: Ich bin in einer Situation, die mich
so kaputt gemacht hat, und was kann ich jetzt tun, um diese Situation
zu ändern.
HÜW: Es gibt ja so Buchtitel und so Denkschulen, sag´
ich mal, die so sagen, Krankheit als Weg, nicht? Ist das etwas,
was Ihnen nahe kommt?
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... und mit Zuhörern |
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Wulf Schröder: Letztendlich schon. Krankheit als Fluchtweg.
Ja. Und dann, d. h. zunächst als Fluchtweg, und aus dieser
Erkenntnis heraus: Ich bin auf der Flucht, das – wie man heute so
schön sagt – Arbeiten an sich selbst, Sie wissen, was ich meine,
einfach sich wachzurütteln und andere Wege zu suchen. Vielleicht
auch hier oder da zu sagen, unter dies oder das Detail ziehe ich
jetzt einen Strich, damit ist es vorbei, das mache ich nicht mehr,
das will ich nicht mehr, das will ich nicht mit mir machen lassen.
Auch sehr wichtig.
HÜW: Also schon so ein bisschen auch wie Herr Peek
das vorhin berichtet hat, also diese Frage auch: Das, was ich hier
so mache – will ich das so? Oder habe ich nicht mal was anderes
gewollt? Also so eine Art Bilanz ziehen und gucken: Ist das eigentlich
meine Richtung, mein Weg? Was tue ich da eigentlich, mache ich was anders?
Wulf Schröder: Ganz genau, ganz genau.
HÜW: Sie haben was in der Hand, ja? Was ist das?
Wulf Schröder: Ich habe Ihnen was mitgebracht. Das
ist ein Buch ...
HÜW: Sie schreiben das, ja?
Wulf Schröder: Ganz genau, das Buch ist von mir ...
HÜW: Worum geht es da?
Wulf Schröder: (gedehnt) Um Krebs? ... Natürlich.
Worum geht es da? Da geht es einmal um die Thematik, die wir heute
haben: Was haben psychische Befindlichkeit und Krebserkrankung miteinander
zu tun?
HÜW: Aus Ihrer Erfahrung ..?
Wulf Schröder: Nein, nicht allein aus meiner Erfahrung.
Hier spielen viele, viele Patienten mit rein, mit denen ich zu tun
habe und hatte. Das Buch hangelt sich an meiner eigenen Geschichte
entlang, rein um des Unterhaltungswertes willen vielleicht, ansonsten
enthält es viele medizinische Informationen, viele Tipps ...
Kaum ein Mensch, der mit der Chemotherapie oder mit der Strahlentherapie
konfrontiert wird, weiß, was da überhaupt auf ihn zukommt.
Von ärztlicher Seite wird auch nicht sehr viel darüber
erzählt. Es wird auch nicht sehr viel darüber erzählt,
in welche psychischen Befindlichkeiten diese Behandlungen den Patienten
stürzen oder stürzen können, und das sind alles so
die Dinge ... Es ist so eine Art Leitfaden, wie gehe ich damit um,
wie lerne ich, immer Augen und Ohren offen zu halten, immer kritisch
zu sein, zu hinterfragen, was mir da erzählt wird, denn es
muss nicht immer der Königsweg sein, den der jeweilige Behandelnde
da gerade vorschlägt. Und ansonsten ist es: Kein Buch für
Selbstmitleider. Es ist wirklich für Leute, die sagen: Ich
habe die Kraft, ich muss die Kraft finden, ich will da durch. Und
wer das nicht hat, der wird das vielleicht hier finden.
HÜW: Danke schön! Wulf Schröder, der sich
auf den Aufruf gemeldet hat. Danke schön. |